Prävention Operationsbedingter anhaltender Schmerzen durch die Einführung eines perioperativen „Transitional Pain Service“ 

Stand: Abgeschlossen – Berichtslegung

Projektlaufzeit: 1. August 2021 – 30. Juni 2025
Projektpartner: 12 Konsortialpartner
Umsetzungsort: Bundesweit

Förderung:  7,1 Millionen Euro durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördert (Förderkennzeichen 01NVF19021)

In Deutschland wurden im Jahr 2017 mehr als 7 Millionen Patient*innen stationär operiert. Akute Schmerzen nach Operationen sind ein bekanntes Problem und Optimierungsansätze werden regelmäßig untersucht. Weniger Aufmerksamkeit erhalten bisher Schmerzen, die nach einer Operation für einen Zeitraum von 3 Monaten oder länger anhalten und in der Fachsprache als chronische postoperative Schmerzen bezeichnet werden – obwohl man weiß, dass diese gar nicht so selten auftreten. Es existieren heute sogar relativ gute Daten über die Inzidenz (Häufigkeit) chronischer Schmerzen nach einem chirurgischen Eingriff, so geben im Durchschnitt 30% der operierten Patient*innen noch 1 Jahr nach der Operation Schmerzen an, die im Zusammenhang mit der Operation bestehen (Fletcher et al 2015). Ebenfalls ist die Zahl der Patient*innen, die 6-12 Monate nach der Operation noch starke Schmerzmittel einnehmen, relativ hoch.

 

Ein wesentlicher Aspekt, der im Kontext der Schmerzchronifizierung eine Rolle spielt, ist die Behandelbarkeit. Ein einmal chronifizierter Schmerz lässt sich nur sehr schwer wieder rückgängig machen und seine Behandlung ist nicht immer zufriedenstellend möglich. Dagegen ist eine Prävention, die eine Schmerzchronifizierung verhindert, eine vielversprechende Möglichkeit, das Problem erst gar nicht entstehen zu lassen. Eine Prävention stellt allerdings eine Herausforderung, auch für das Gesundheitssystem dar, denn die Ursachen für eine Schmerzchronifizierung nach einer Operation sind vielfältig und häufig multifaktoriell. Das Operationstrauma ist nur ein Beitrag, viele weitere Faktoren müssen zusammenkommen, um aus dem Akutschmerz einen chronischen Schmerz zu generieren und betreffen Aspekte vor, während und auch im Verlauf nach der Operation. Dies bedeutet aber, dass schon sehr früh, nämlich idealerweise vor der Operation und über den gesamten Krankenhausaufenthalt hinaus – und sogar bis zu mehreren Wochen nach der Operation der Patient präventiv behandelt werden sollte. Und da die Faktoren, die eine Schmerzchronifizierung beeinflussen, aus verschiedensten Bereichen generiert werden können (sogenannte bio-psycho-soziale Bereiche), muss ein präventiver Ansatz idealerweise interdisziplinär sein.

 

Erste Hinweise darauf, dass ein Präventionsangebot sinnvoll sein kann, liegen aus anderen Ländern vor. Besonders effektiv scheint es zu sein, wenn das Team aus verschiedenen Fachberufen (Mediziner*in; Physiotherapeut*in, Psychotherapeut*in und Pflegenden) besteht, und sich sowohl im Krankenhaus als auch für einige Monate nach der Entlassung aus der Klinik um den Patienten kümmert. So ein Team wird als „Transitional Pain Service“ (kurz TPS) bezeichnet. Hier setzt das Projekt POET-Pain an mit dem Ziel zu prüfen, ob ein solcher TPS die Entwicklung chronischer postoperativer Schmerzen beeinflussen kann, welche Maßnahmen dabei besonders effektiv sind und inwieweit die Umsetzung im deutschen Gesundheitssystem möglich ist.

 

Im Projekt POET-Pain wurde TPS konzipiert und in einer randomisiert-kontrollierten Studie auf Effektivität und Machbarkeit überprüft. Erweist sich der TPS oder bestimmte Teile als wirksam, so ist es vorstellbar, ein solches Konzept generell an deutschen Kliniken als Teil der Regelversorgung anzubieten.

 

Die Risikoeinschätzung der Studienteilnehmer*innen erfolgte anhand objektivierbarer Charakteristiken. Ein Teil der Studienteilnehmer*innen erfahrt die sektorenübergreifende Behandlung durch das TPS-Team, nämlich vor der Operation, nach der Operation in der Klinik und nach Entlassung ambulant für insgesamt sechs Monate. Zusätzlich kommt eine Patient*innen–App zum Einsatz. In Befragungen von Mitarbeitenden und Patient*innen werden Daten zur Umsetzbarkeit und Begleiterhebungen erfasst und es können Teilaspekte identifiziert werden, die für die Entwicklung von individualisierten Schmerz und Präventionskonzepten für Patient*innen nach Operationen in der Zukunft von großer Bedeutung sein können.

 

In den ersten Monaten des Projektes wurden durch die Wissenschaftliche Projektleitung und 4 Teilprojektleitergruppen die Präventionskonzepte des „Transitional Pain Service“ TPS detailliert ausgearbeitet.

Anschließend erfolgte eine randomisiert-kontrollierte Studie, in der der TPS auf seine Wirksamkeit und Umsetzbarkeit überprüft wird. Eingeschlossen in diese Studie werden Patient*innen, die sich bestimmten Operationen unterziehen und dafür mehrere Tage im Krankenhaus verbringen müssen. Da auch zwei Krankenkassen an diesem Projekt teilnehmen, werden die Patient*innen dieser beiden Krankenkassen (BARMER und IKK classic) vornehmlich eingeschlossen werden. Privatversicherte Patient*innen und Schwangere sind von der Teilnahme ausgeschlossen.

Nach Aufklärung, einer kurzen Befragung zur Identifizierung von Risikofaktoren für eine Schmerzchronifizierung und Einschluss in die Studie erfolgte (nach dem Zufallsprinzip wie für randomisiert-kontrollierte Studien üblich) die Zuteilung in eine der Studiengruppen. Patient*innen, die der „Therapiegruppe“ zugeteilt wurden, erhalten vor, während und nach dem stationären Aufenthalt ein Präventionsangebot durch den TPS, der aus ärztlichem Personal, Pflegepersonal, Physiotherapeut*innen und Psycholog*innen besteht (siehe auch Unterpunkt: Die Behandlung durch einen Transitional Pain Service als neue Versorgungsform). Diese Behandlungsangebote werden vom TPS so konzipiert, dass sie – einem grundsätzlichen Rahmen folgend – den individuellen Risiken jedes/ jeder Patient*in angepasst werden. Patient*innen, die einer der Kontrollgruppen zugeteilt werden, erhalten, vor, während und bis zu sechs Monate nach dem Klinikaufenthalt die Behandlung der Regelversorgung, also genau die Behandlung, die jeder/ jede Patient*in momentan in einem Krankenhaus in Deutschland nach einer Operation bekommt.

In einer für diese Studie entwickelten App erhielten alle Patient*innen (unabhängig davon, welcher Gruppe sie zugeteilt wurden) einen, drei und sieben Tage, sowie einen, drei und sechs Monate nach der Operation Fragen, die sowohl für die Therapie des TPS als auch für den Erkenntnisgewinn der Studie wichtig sind. Es besteht auch die Möglichkeit, an einer telefonischen Befragung teilzunehmen. Nach der Beantwortung der Fragen, sechs Monate nach der Operation endet die Studienteilnahme für alle Patient*innen.

Begleiterhebungen wie z.B. Patient*inneninterview, Interviews des Personals des TPS, Erfassung von Struktur- und Prozessparametern, sowie Aspekte der Behandlung werden zusätzlich durchgeführt, um die Effektivität des TPS; einzelner Behandlungsaspekte, unterschiedlicher Patientengruppen und bedeutender Versorgungsstrukturen und Prozesse besser verstehen und später optimal in die Versorgung integrieren zu können.

Abbildung 1: Übersicht der Arbeit des TPSDer TPS richtet sich explizit an Patient*innen, die ein potentiell erhöhtes Risiko für eine Chronifizierung von Schmerzen nach einer Operation aufweisen. Mithilfe geeigneter Screening-Instrumente lassen sich Patient*innen, bei denen präoperativ ein potenziell erhöhtes Risiko für die Entwicklung chronischer postoperativer Schmerzen besteht, schon heute relativ verlässlich identifizieren. Der TPS identifiziert diese Patient*innen (schon vor der Operation) und arbeitet anschließend konzeptionell mit ihnen. Kennzeichen der Arbeit des TPS ist dabei die interdisziplinär-multimodale Zusammenarbeit verschiedener Professionen (Ärztin/Arzt, Pflegefachperson, Physiotherapeuten*in, Psychologen/Psychologin). Ein wichtiges Kernstück der TPS Arbeit bildet die im Team abgestimmte individualisierte Behandlung der Patient*innen. Ein weiteres wichtiges Kennzeichen des TPS ist die sektorenübergreifende Arbeit. Er beginnt prästationär vor der Operation mit einer Evaluation des individuellen Risikos und einer ersten Edukation (TPS prästationär). Während des Krankenhausaufenthaltes wird der/ die Patient*in von allen Professionen abhängig von individuellen Risikofaktoren im TPS-Team-spezifisch betreut (TPS stationär) und poststationär bedarfsadaptiert für maximal weitere 6 Monate begleitet (TPS poststationär/ambulant).

TPS Prästationär : Im ersten Schritt erfolgt ein prästationäres Assessment durch den Arzt/die Ärztin, die Pflegefachperson sowie den/die Physiotherapeuten*in des TPS. Dieses Assessment dient der Charakterisierung individueller Risiken für eine Schmerzchronifizierung aus Sicht der einzelnen Professionen wie z.B. einer präoperativen Schmerzanamnese, präoperative Opioideinnahme, Überprüfung der funktionellen Kapazität und Übungstoleranz des/der Patienten*in und dessen/derer sozialer Situation; psychologische Risikofaktoren werden anhand von Fragebögen erfasst, z.B. bezüglich des Auftretens von Angst oder Katastrophisierung. Auf dieser Grundlage wird ein individueller, modularer Behandlungsplan im Rahmen einer Teamsitzung des TPS durch alle Professionen für die stationäre Betreuung durch den TPS erstellt und erste edukative Schritte (z.B. „Wie nehme ich meine Medikamente in der perioperativen Phase ein?“, „Wie kann ich am Schmerzmanagement selbst partizipieren?“) eingeleitet. Der/Die Arzt/Ärztin kommuniziert mit den behandelnden Operateur*innen und oder Anästhesist*innen die potentiellen Risiken des/der Patienten/Patientin und mögliche präventive Maßnahmen.

TPS stationär : Während des stationären Aufenthaltes erfolgt nach Abstimmung gemeinsamer Behandlungsziele die Durchführung des individuellen, modularen Behandlungsplanes und am Ende, die Konzepterstellung für die poststationäre ambulante Versorgung jedes/r Patienten*in durch alle 4 Professionen. In Teamsitzungen werden die Behandlungsaspekte besprochen, die durch den Arzt/die Ärztin koordinierend geleitet und an die Behandler*innen (Operateur*innen, Anästhesist*innen, Akutschmerzdienst etc.) und Nachbehandler*innen (niedergelassene/r Ärztin/Arzt, niedergelassene/r Hausärztin/Hausarzt) kommuniziert werden. Professionsspezifische Behandlungs- und Versorgungsaspekte werden entsprechend von den anderen Berufsgruppen an weiterbehandelnde oder versorgende Einrichtungen kommuniziert.

TPS ambulant/poststationär : Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus werden die Patient*innen, die durch den TPS betreut werden, in der Durchführung einzelner Therapiemodule und in der Erreichung individueller Therapieziele unterstützt. Jede/r Patient*in wird mindestens einmal im Rahmen einer ambulanten Sprechstunde telefonisch kontaktiert und wenn möglich einbestellt, um die Therapie und Präventionsmaßnahmen bzw. Zielerreichung im Rahmen eines Gespräches mit der/dem Ärztin/Arzt, der Pflegefachperson, dem/der Physiotherapeuten/in sowie dem/der Psychologen/Psychologin zu kontrollieren bzw. falls notwendig zu optimieren. Sollten weitere ambulante Termine nötig sein, z.B. bei anhaltend starken Schmerzen oder weiteren Zeichen einer Schmerzchronifizierung, erfolgen diese bis zur endgültigen Entlassung aus der Betreuung des TPS bis zu sechs Monate nach der Operation durch den TPS. Zusätzlich steht der TPS bei schmerzmedizinischen Problemen in einer Telefonsprechstunde zu einer definierten Zeit zur Verfügung. Bei Anzeichen einer Chronifizierung 6 Monate nach OP kann dem weiterbehandelnden Arzt eine Empfehlung ausgesprochen werden, der/die Patient*in zeitnah – falls erforderlich – in eine Weiterbetreuung zu übermitteln.

Das Projekt POET-Pain ist am 01.08.2021 gestartet und hatte eine geplante Projektdauer von 3 Jahren, wurde aber kostenneutral bis 30.Juni 2025 verlängert.. Nach Ende der Studienvorbereitungen wurden Patient*innen in 6 Universitätskliniken in die Studie eingeschlossen. Die Evaluation des Projektes erfolgt in einem externen und von der klinischen Erhebung unabhängigen Institut an der Universität Greifwald.